Der Menschenfeind unsavory
Die Verzweiflung Alcestes über Karrierismus, Opportunismus und die Anpassungsbereitschaft der im höfischen System verstrickten Figuren, all dies wird mit der UNSAVORY-Version des Stücks intensiver beleuchtet als in der auf ein Sommertheater-Publikum zugeschnittenen Open Air Fassung vom Juli. Die dunkleren Schichten des Molière-Stückes werden in ihrer abgründigen Tiefe szenisch radikaler ausgelotet. Der „Mehrwert“: Die Komödie zeigt sich schärfer konturiert, radikaler, moderner.
(unter Verwendung des LEPORELLO-Artikels über die Aufführung von Pat Christ)
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Künstlerische Leitung
Besetzung
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Pressestimmen
MainPost (Eva Werner, 11.12.15)
Molière mal komplett durchgerüttelt
Zweitverwertung ist bei Kinofilmen ja nichts Ungewöhnliches. Von der Leinwand, geht's weiter zur DVD oder zu sonstigen Medien. Auch erfolgreiche Theaterproduktionen erfreuen sich oft ungezählter Wiederaufnahmen. Das Team vom Würzburger Theater Ensemble zündet in Sachen Weiterverwertung erprobter und erspielter Theaterstücke jetzt die nächste Stufe, es hat nämlich einfach mal seine Inszenierung von Molières „Der Menschenfeind" auf links gedreht, munter durchgeschüttelt und dann auf die Bühne gebracht, mit erstaunlichem, radikalem und vor allen Dingen, kurzweiligem Ergebnis.
Schimpfliches Treiben
Edelmann Alceste (Michael Wagner), Spötter und Frotzler, hat immer noch die Nase gestrichen voll von höfischer Etikette und schrecklichen Sonetten. Célimene (Annika Bentele), seine Geliebte, nimmt das Leben noch etwas lockerer und vertreibt sich die Zeit mit den Hofschranzen Clitandre und Acaste (Matthias Rettner und Thomas Schröter). Philante (Jarno Riefer), guter Freund Alcestes und Arsinoé (Christel Riedel) haben ihre eigenen Ansichten in Sachen Standesdünkel. Oronte (Marwin Rieck) scheint endgültig ins Metier öliger Herzenbrecher abgedriftet zu sein, die arme Eliante (Edith Saldanha) weiß sich meist nur noch mit wüsten Beschimpfungen zu helfen und der Bote (Annika Simon) kann bei all dem schimpflichen Treiben schon gar nicht mehr zusehen. In ?Der Menschenfeind unsavory? von Regisseurin Karo Benker bleibt wahrlich kaum ein Stein auf dem anderen. Die Genres wechseln munter, die Sprache präsentiert sich aktuell und feurig und die Darsteller geben alles, schweißtreibender Körpereinsatz inklusive. Quietschende Putzhandschuhe erleben multifunktionalen Einsatz, ein Hauch asiatischer Transzendenz durchweht die Szenerie und Schußwaffen erfreuen sich, verblüffenderweise, großer Beliebtheit. Der Zusatz von ?unsavory? im Titel, also ?zwielichtig, fragwürdig, geschmacklos? verspricht so einiges, mögliche entsetzte Verstörung muss aber kein Zuschauer fürchten, eher schon verblüffte Überraschung. Ein Theater- Spaß jenseits aller ausgetretenen Klassikerpfade.
Online-Kritik (Simon Hörnig, 10.12.15)
"Jetzt erst recht!" dachte man sich offenbar beim theater ensemble Würzburg und jagt in "DER MENSCHENFEIND unsavory"" ihrer spritzigen Sommertheater-Version von Molières Komödie nochmals ein paar tausend Volt unter die Perücke. Dergleichen gepudertes Utensil ist hier ohnehin fehl am Platz, wenn die Bühne im eigentlichen Sinne zum Moshpit wird, die Marquis in grotesk-erotischem Widerspiel mit Oronte ihrer schrillen Performance vom Juli die Bärenfellmütze aufsetzen und die eigentlich so zarte Éliante wild fluchend durch die Szene fegt. Seinen ruhenden (Gegen-)Pol findet das punkig-rotzige Treiben zunächst in Philinte, nun Kurtaträger und scheinbar auch innerlich gewandelt, der dem unsteten Alceste neuerdings mit traumwandlerischer Ruhe den Nerv raubt, doch auch der neuerleuchtete Guru - hingebungsvoll verkörpert durch Jarno Riefer - kann sich dem Pulk nicht lange entziehen und so kulminiert der erste Abschnitt schon vor der Pause in buchstäblichem Orgiasmus. Was nun folgt ist das böse Erwachen nach dem Rausch. Moderiert von Michael Wagners Alceste, der dem Charakter aus der Sommerinszenierung noch am ehesten gleicht, beinahe noch etwas geerdeter wirkt als zuvor und sich gleichzeitig ein Stück weit der Handlung entzieht, flüchtet der bizarre Schein und macht Platz für Depression und Aggression. Diese richten sich geschlossen gegen Célimène, was auf derart körperlich-drohende Art und Weise inszeniert wird, dass das umgeschriebene Ende nicht überrascht, sondern als logische Konsequenz des Dargestellten erfolgt. Hierin liegt vielleicht auch die Idee hinter der rasanten Neuinszenierung, welche durch die Fokussierung auf den Aspekt männlichen Kontrollzwangs den Grundkonflikt des Stücks derart zuspitzt, dass aus ungeniertem Spiel bitterer Ernst, aus der Komödie eine Tragödie wird.