Lolita strikes back – Triggerparty
Eine theatralische Auseinandersetzung mit dem „Lolita–Syndrom“ als Text– und Spielcollage:
Frauen, Bühne, Pogo.
Zeit ist vergangen. Lolita ist erwachsen geworden, Nabokov tot und es arbeitet in ihr.
Ein leerer Raum und eine nicht beantwortete Frage: Was ist passiert, dass sie SO geworden ist?
Der Versuch einer Antwort: Mit Sprache, Gospel und dem ersten Pogo–Striptease überhaupt.
Auch noch:
Ein Adornitisches Liebesduett zwischen Lolita und Mephista.
Eine eskalierende Selbstzerstörungsgruppe.
Ein Frauen–Männerchor (Opfer–Täter nicht gemischt).
Kurz: Eine zünftige Triggerparty.
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Main Echo
Das Innere des Opfers Schauspiel:
"Lolita strikes Back" des "theater ensemble" beschäftigt sich mit den Folgen sexuellen Missbrauchs
Mit geradezu perfider Raffinesse, schildert Vladimir Nabokov, gelingt es Lolita, Humbert Humbert sexuell hörig zu machen. Das Buch erregte einen Skandal. Weniger wegen Lolitas Missbrauch. Sondern weil der Roman als "pornografisch" galt. Doch was der Zwölfjährigen geschah, ist Missbrauch.
Den stellt Regisseurin Karolin Benker in den Mittelpunkt einer beklemmend–brisanten Collage, die am 30. Oktober um 20 Uhr auf der neuen Experimentalbühne des Würzburger "theater ensemble" Premiere feiert.
Es hörte sich an wie Schauermärchen, als vor etwa 25 Jahren Frauen erstmals an die öffentlichkeit traten und erzählten, was mit ihnen in ihren Familien geschah. Väter, Stief– und Großväter sollen sich an ihren eigenen Töchtern vergangen haben? Das war lange Zeit unglaubhaft. Nabokovs Roman kam 1955 heraus. Zwar war es damals bereits 60 Jahre her, dass Sigmund Freud über den Zusammenhang zwischen Hysterie und Kindesmissbrauch schrieb. Doch traumapsychologisches Wissen war kaum verbreitet. 1962 verfilmte Stanley Kubrick den Stoff. Da war die Situation nicht viel besser. Immerhin machte er Nabokovs zwölfjähriges "Nymphchen" drei Jahre älter. Das Nachdenken beginnt.
Karolin Benker erweckt die Kunstfigur Lolita in ihrer Textund Spielcollage "Lolita strikes Back" auf der Experimentalbühne des "theater ensemble" zu neuem Leben. Lolita ist erwachsen geworden – etwa 25 Jahre wird sie nun zählen. Sie beginnt, über sich nachzudenken. Warum ist sie so geworden, wie sie nun ist? Welche Folgen hatte der Missbrauch? Als Kind vergewaltigt zu werden, das hinterlässt seelische Brandzeichen, wie wir heute wissen, die niemals heilen. Deren Schmerzhaftigkeit allenfalls gelindert werden kann. Zwischen Aufmüpfigkeit, Unterordnung, Selbstzerstörung und Psychose versuchen die betroffenen Frauen, zu überleben. Trotz der nie verlöschenden ängste, trotz eines gigantischen Schmerzes, trotz inneren Chaos.
Anhand ganz unterschiedlicher Texte von Goethe und Shakespeare bis hin zu Alice Miller und Adorno versuchen neun Darstellerinnen als Gretchen, Jason und Mephista, Lolita, deren Alter Egos und Humbert Humbert, das Chaos zu lichten. Wer ist Täter oder Täterin? Wer Opfer? Karolin Benker bebildert Lolitas psychologische Suche nach dem Geheimnis ihres Wesens und Werdens auf drastisch–beklemmende Weise – ohne jedoch irgendeine Art von Lolita–Sexismus zu bedienen.
Drastisch–psychologisch Voyeure haben schlechte Karten. Denn wiewohl es um Sex geht, werden die Schauspielerinnen nicht entblößt. Abstrahierte Brustobjekte aus Strumpfhosen, leicht umzuhängen, vermeiden nacktes Fleisch. Drastisch wird es allein in psychologischer Hinsicht. Denn wer sich tief hinein in das eigene Trauma begibt, begeht einen gefährlichen Weg. Da ist nichts mehr harmlos. Da gibt es nichts Heiles mehr. Da wird alles in Frage gestellt. Familie. Eltern. Das eigene Ich.
Heute werden Opfer von sexuellem Missbrauch kaum noch skeptisch beäugt. Heute hagelt es keine Beschimpfungen mehr, wenn das Thema öffentlich angesprochen wird. Heute ist bekannt, welche Dimension Missbrauch hat. Nicht nur Mädchen sind Opfer. Sondern auch Jungs. Nicht nur Väter missbrauchen. Sondern auch Mütter. Opfer können sich erzwungenermaßen zu Handlangern des Täters machen. Sie haben täterloyale Anteile in sich, sogenannte Täterintrojekte, die, werden sie ihnen bewusst, eine kaum auszuhaltende Scham angesichts eigener Schuldigkeiten auslösen. Täter wiederum waren einst oft selbst Opfer. Sie waren Opfer von Tätern, die ihrerseits dran glauben mussten. Die ihrerseits ums seelische überleben kämpften. Aber wie? Und unterstützt vom wem?
In Karolin Benkers "Triggerparty" schwingt all dies mit. Weshalb die Regisseurin auch nicht den leichten Weg wählte und die Täter schwarzmalte oder an den Pranger stellte. Zu sehr ist alles miteinander verwoben. Auswege blitzen auf. Doch sind sie echte Auswege? Oder wartet am Ende doch der Wahnsinn?